Neues Deutschland

02.02.2010 / Inland / Seite 2

Aufstehen und Sitzenbleiben

Die Peres-Rede spitzt den Streit der LINKEN über den Nahost-Konflikt zu

Von Wolfgang Hübner
 
Altes Thema, neuer Anlass: An der Haltung der Linkspartei zum Nahost-Konflikt scheiden sich wieder einmal die Geister der Genossen. Jetzt spielt der Konflikt in die Neuformierung der Parteispitze hinein.

 

Israels Präsident Shimon Peres am 27. Januar im Bundestag

Streit in der LINKEN eskaliert, Grabenkämpfe in der Linksfraktion – solche Schlagzeilen machen sich gut, so lange die Leser noch die jüngsten Auseinandersetzungen in der Parteispitze im Kopf haben. Diesmal handelt es sich um einen Konflikt mit Zeitzünder. Denn immerhin vier Tage vergingen, bis einer Zeitung auffiel (oder ihr zugetragen wurde), dass sich nach der Rede des israelischen Präsidenten Shimon Peres am 27. Januar im Bundestag nicht alle Abgeordneten zum stehenden Beifall erhoben hatten. Sahra Wagenknecht und zwei weitere Frauen aus der Linksfraktion blieben sitzen, so die »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« (FAS); die dort ebenfalls genannte Heike Hänsel teilte empört mit, sie habe aus terminlichen Gründen gar nicht teilgenommen. Weil das Blatt den Links-Abgeordneten Michael Leutert zitiert, schwirren unter Genossen gleich wieder Denunziationsvorwürfe.

Die FAS erkennt in dem verweigerten Beifall ein Zeichen dafür, »dass der Antizionismus in der Linkspartei alles andere als überwunden ist«. Leutert stützt diese Lesart zumindest teilweise und bringt das Ganze auch noch in Zusammenhang mit der Debatte um die künftige Führung der LINKEN: Wer am Auschwitz-Gedenktag nicht willens sei, Israels Präsident im Bundestag »den nötigen Respekt zu bezeugen, der ist für mich nicht wählbar«, zitiert ihn die FAS. Das zielt auf Wagenknecht, die als stellvertretende Parteivorsitzende vorgesehen ist, und wohl auch auf Christine Buchholz, die derzeit dem Parteivorstand angehört. Die Linkspartei wählt im Mai einen neuen Vorstand.

Sahra Wagenknecht erklärte auf ND-Anfrage, sie habe sich in der Gedenkstunde des Bundestages durchaus von ihren Platz erhoben, um die Opfer des Holocaust zu ehren – als Parlamentspräsident Norbert Lammert sprach und Shimon Peres begrüßt wurde. Nach der Peres-Rede sei sie sitzen geblieben, weil sie »problematische Passagen« enthalten habe – etwa die Behauptung, Iran besitze Atomraketen. Beobachtern der Veranstaltung zufolge gab es noch mehr Abgeordnete nicht nur in der Linksfraktion, die sich nach dieser Rede nicht zum Beifall erhoben.

Kritik an Peres kam auch von anderer Seite. Die Initiative »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« veröffentlichte einen Brief israelischer Bürger unter der Überschrift »Shimon Peres spricht nicht in unserem Namen!«. Peres wird darin als »dienstältester Propagandist von israelischen Regierungen« bezeichnet, die für Siedlungsbau in Palästinenser-Gebieten und für Krieg in Gaza und Libanon stehen. Peres, »der sich zahlreicher schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht« habe, spreche nicht für alle, auch nicht für alle israelischen Juden. Kritisiert wird zugleich die »schädliche und unmoralische Nahost-Politik« der Bundesregierung. Deutschland habe nicht nur eine moralische Verpflichtung gegenüber Juden, sondern auch gegenüber palästinensischen und libanesischen Zivilisten.

Nach Ansicht der Jüdischen Stimme wäre an Stelle von Präsident Peres der UN-Berichterstatter Richard Goldstone eine geeigneter Gedenkredner für den 27. Januar gewesen. Der südafrikanische Jurist hatte für die Vereinten Nationen die Menschenrechtverletzungen während des Gaza-Krieges vor gut einem Jahr ermittelt und aufgelistet – Vergehen der Hamas und der israelischen Armee. Hätte Goldstone im Bundestag gesprochen, wären womöglich ganz andere Abgeordnete sitzen geblieben. Aber das wäre wohl kaum jemandem eine Schlagzeile wert gewesen.